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Monde arabe

Pierre PICCININ da PRATA (Historien - Politologue)

SYRIEN - Reise in die Hölle

Syrien – Reise in die Hölle : im Herzen der Gefängnisse des syrischen Nachrichtendienstes (Le Monde, 7.6.2012; L'Espresso, 8.6.2012; Le Soir, 11.6.2012; Neue Luzerner Zeitung, 23.6.2012)

 

 

Homs par Lute Baele

                                                                                               © LB-Pierre PICCININ

 

 

 

  

   

Liban-Syrie-Mai-2012 1195 - Copie[photo : Tal-Biseh]

 

 

 

 

 

 

Es liegt eine schwere Verantwortung auf mir, dieses auf zu schreiben, und es ist daher wichtig, seine Fehler zu erkennen, und Auslassungen zu korrigieren, vor allem wenn es um Menschenleben geht…

 

Am 15. Mai 2012 bin ich für eine dritte Forschungsreise nach Syrien eingereist, um eine Kartographie und genaue Bestandsaufnahme der Hochburgen der Oppositionsbewegung vorzunehmen, und um das tatsächliche Potenzial der Freien Syrischen Armee (FSA) und ihre Fähigkeit zum Umsturz beurteilen zu können.

 

Dafür habe ich mich zunächst auf die Grenzstädte Deraa, Zabadani, Qousseir, Tal-Kalakh, Homs, Tal-Biseh, Rastan und Idleb konzentriert, die den Schwerpunkt der Angriffe gegen die reguläre Armee bilden, und die teilweise oder vollständig von der FSA gehalten werden, die logistische Unterstützung von ihren hinteren Basen in der Türkei und Jordanien und von Partisanen des Hariri-Clans im Nordlibanon erhält.

 

In meinen vorherigen Lagebeobachtungen im Land, im Juli 2011 und dann von Dezember bis Januar, hatte ich die Zustimmung der Behörden und ein Visum von der syrischen Botschaft in Brüssel erhalten. Das war diesmal nicht der Fall, und ich entschied mich, die libanesische Grenze bei Masnaa zu überqueren. Ich bin dann nach Jdaidit gelangt, wo es, so seltsam es auch erscheinen mag, mit etwas Glück möglich ist, ein Visum ohne jede Formalität zu erhalten. Ich bin also auf ganz legalem Wege vom Libanon nach Syrien eingereist. Im Libanon konnte ich im Übrigen die Auseinandersetzungen zwischen den Alawiten von Tripolis und den haririschen Sunniten beobachten, die deren Viertel belagerten, was ein Hinweis ist auf die Ausweitung des syrischen Konflikts auf den benachbarten Libanon

 

Mit einem in Damaskus gemieteten Auto fing ich an durch das Land zu fahren. Ich konnte nach Homs gelangen und die von der syrischen Armee bombardierten Rebellenviertel fotografieren. Im von der Opposition gehaltenen Tal-Biseh hatte ich die Gelegenheit, mit FSA Milizen und Mitarbeitern des örtlichen Oberkommandos zu sprechen, das gut organisiert und ausgerüstet ist, und in logistischer Verbindung mit anderen Rebellenpositionen steht. Danach fuhr ich Richtung Rastan, das vollständig in Händen der Rebellen ist und vor dessen Toren die Regierungsarmee liegt. Ich konnte die Kampfhandlungen beobachten, mich jedoch nicht in die Stadt begeben. Ich bin ebenfalls nach Hama gelangt.

 

Am 17. Mai kam ich am Kontrollpunkt der regulären Armee vor Tal-Kalakh an, in der Nähe von Homs. Ich wartete fast zwei Stunden auf die Gewährung eines Zugangs zu der Stadt, als mir bewaffnete Bedienstete erklärten, dass ich Zugang bekäme, vorausgesetzt, dass sie mich begleiten und ich in einem ihrer Fahrzeuge mitfahre, was ich akzeptierte.

 

Wenige Minuten später schnappte die Falle zu, und meine Reise in die Hölle begann an diesem Tag gegen 17:00 Uhr...

 

Kaum war ich in das Fahrzeug gestiegen, als mir auch schon die Hände hinter dem Rücken mit Handschellen gefesselt wurden und ich in ihr Gebäude abgeführt wurde. Dort wurde ich für ein paar Stunden in einem vom direkten Sonnenlicht überhitzten Betonkerker mir selbst überlassen. Mein Handy war mir abgenommen worden, ich hatte keine Kommunikationsmittel mehr und es war nicht mehr möglich, mich zu lokalisieren.

 

Am Abend wurde ich von dort aus in die Nachrichtendienstzentrale von Homs überführt, wo man mir in einem ersten Gebäude alle persönlichen Gegenstände abnahm, während ich schon beunruhigt gedämpfte Schreie hören konnte. Ich konnte mir gut vorstellen was dort vor sich gehen musste.

 

Nach einer Weile führten mich zwei Bedienstete in ein anderes Gebäude. Die Schreie waren verstummt. Der Boden dort wurde mit reichlich Wasser von offensichtlichen Blutspuren gereinigt. Alles war schmutzig, düster, abgenutzt; Türen, Wände, und Fliesen, alles war dreckig.

 

Anfangs musste ich in einem kleinen Raum, immer noch mit Handschellen gefesselt, ausharren. Dort saß ich auf einem Stuhl vor einem Schreibtisch der mit mit Spuren von Blut, Erbrochenem, Fingernagelstücken und Metall-Nadeln bedeckt war. Nach einer knappen Stunde dieser "Vorbereitung" erschien ein englischsprechender Offizier, gefolgt von einem Untergebenen, den er zurecht zu weisen schien, woraufhin dieser sofort die Spuren entfernte, während mir sein Vorgesetzter zulächelte.

 

Letzterer ging dann zu einer routinemäßigen Identitätskontrolle über, führte mich dann am Arm in ein anderes Büro, wo meine Handschellen entfernt wurden, und wo eine sehr freundliche Vernehmung stattfand. Ich hatte nichts zu verbergen, und beantwortete alle Fragen in der Meinung ihn zufriedengestellt zu haben, bis er mir auf einem Laptop im Büro des örtlichen Kommandanten nebenan, Fotografien von meinem USB-Stick zeigte, die ich bei Tal-Biseh aufgenommen hatte, und auf denen ich in Begleitung von Kämpfern der FSA, "Terroristen" also, zu sehen war.

 

Allerdings versicherte er mir, dass er Verständnis dafür habe, dass dies normal sei im Rahmen meiner Recherchen, und dass, selbst wenn ich mich durch das Treffen mit den "Terroristen" strafbar gemacht habe, er mir in dieser Affäre helfen werde und ich in einigen Stunden frei sei. "You are our guest and this place is now your second home", rief er mir zu, und ich wusste nicht, wie ich sein Lächeln interpretieren sollte...

 

Man bot mir dann an, mich auszuruhen; nicht in einer Zelle, sondern im Schlafsaal der Bediensteten, wo mir eine Liege zugewiesen wurde.

 

Sehr schnell jedoch kamen zwei Offiziere, die ich noch nicht getroffen hatte, um mich abzuholen und in einen Raum zu bringen, wo ein anderer Offizier wartete. Letzterer bedeutete mir Hemd und Schuhe auszuziehen. Sehr beunruhigt durch diese Wendung der Dinge, gehorchte ich. Seine beiden Handlanger banden meine Hände an ein Rohr an der Decke. Die Lage wurde immer klarer ... Ein vierter Mann brachte zwei Eimer Wasser und Tücher, während ich an den Fußgelenken gefesselt wurde, verließ den Raum wieder und schloss die Tür hinter sich. Einer der Untergebenen zog mir meine Socken aus und stopfte sie mir in den Mund. Dann wurde ich auf Rücken, Lenden, Bauch und Brust geschlagen: Man könnte denken, dass dies keine große Sache sei, aber nach nur wenigen Schlägen wurde der Schmerz so intensiv, dass ich mehrfach glaubte, zu ersticken und das Bewusstsein zu verlieren.

 

Während mich seine Männer schlugen, stellte mir der Offizier in sehr schlechtem Englisch Fragen, befahl mir aber im selben Atemzug, den Mund zu halten. Aber wie sollte ich denn, geknebelt wie ich war, überhaupt antworten? Vor allem aber nahm ich ihn kaum noch wahr.

 

Nach ich weiß nicht welcher Dauer der Misshandlungen, nahm man mir schließlich den Knebel aus dem Mund. Man nahm mich von dem Rohr ab, legte mir Handschellen an und setzte mich an einen Schreibtisch, auf dem der Offizier eine Schachtel Metallnadeln ausgeschüttet hatte. Er ließ mir Zeit, zu Atem zu kommen, während er mit einer Nadel zwischen seinen Fingern spielte.

 

Jeder der beiden Untergebenen packte nun einen meiner Unterarme und Handgelenke und presste sie flach auf die Tischplatte. Der Offizier nahm meinen linken Zeigefinger zwischen seine Finger, schob die Nadel unter den Nagel, und ließ sie, ohne zu drücken, langsam hin und her gleiten. Er sprach von meiner Beziehung zu den "Terroristen" und fragte mich, warum ich allein in Syrien unterwegs sei und fotografierte; ob ich für einen ausländischen Nachrichtendienst arbeite, für die Franzosen; warum ich vom einen zum nächsten von "Terroristen" besetzten Ort zog ...

 

Ich wiederholte, zu seiner scheinbaren Zufriedenheit, alles, was ich schon vorher gesagt hatte. Aber er ordnete erneut an, mich geknebelt am Rohr festzubinden, während er in den Gang rief. Ein vierter Mann betrat den Raum mit einem Gerät, an dem sich ein großer Drehknopf und Zeigerinstrumente befanden. Dieser hat mir dann zwei gezackte Metallklammern, die mit dem Gerät verbunden waren, an der Brust befestigt. Darauf fing er an, langsam den Knopf zu drehen: Anfangs spürte ich nur ein leichtes Kribbeln, aber innerhalb weniger Sekunden wurden die Schmerzen stechend. Je weiter er drehte, desto brennender wurde der Schmerz, ein heftiger, pochender Schmerz. Der Offizier kam auf mich zu und spuckte auf meinen Oberkörper, und mit seinem Finger rieb er den Speichel auf die Haut bei den Klammern, was zu einem plötzlichen, hohen Stromfluss führte und zu sehr starken Schmerzen. Der Mann spielte nun an dem Drehknopf und ließ den Stromfluss immer wieder zu- und abnehmen. Schließlich wurde dieses Instrument entfernt und ich wurde, geknebelt und mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt, auf den Schreibtisch gelegt, ohne dass man mir weitere Fragen stellte.

 

Immer noch in Handschellen, hielten mich die Männer fest, einer an den Schultern, die anderen beiden an den Fußgelenken. Der Offizier sagte mir, dass ich mich beruhigen solle, dass alles in Ordnung sei und nur noch eine Formalität zu erledigen sei: Er nahm eine weiße Kunststoffgerte, die am Heizkörperventil hing, und verabreichte mir, wie ich mit gestreckten Beinen und mit dem Kopf über die Tischkante hängend flach auf dem Tisch lag, 23 Hiebe auf die Fußsohlen. Ich habe jeden einzelnen Schlag gezählt. Der Offizier sah mich danach mit einem fast freundschaftlichen Lächeln an: "You don't need handcuffs, now" ... Seine Untergebenen führten mich wieder zurück zur Liege, wo sich mich dann trotzdem fesselten.

 

Wie lange mag das Ganze gedauert haben?

 

Ich hatte große Schmerzen. Aber ich habe es einigermaßen überstanden: Einige geprellte Rippen und ein paar leichte Verbrennungen, fast nichts im Vergleich zu dem was ich noch sehen sollte und was mir später meine Zellengenossen im Gefängnis Bab al-Musalla in Damaskus erzählen sollten. "Weil du aus dem Westen bist, haben sie es nicht gewagt, weiter zu gehen", versicherte man mir. "Wärest Du Araber gewesen, dann wäre es dir so ergangen wie dem Journalisten von Al-Jazeera: Er war dort ein paar Tage vor dir, und sie haben ihm die Hände zerquetscht und beide Knie gebrochen." Ja, ich hatte große Schmerzen, aber es war nichts, nur ein einfacher Schlag ins Gesicht, verglichen mit dem, was ich noch die ganze restliche Nacht sehen sollte.

 

Das Kopfende meiner Liege war vor der Zimmertür, die auf den Korridor führte. Ein paar Minuten nachdem ich zurückgeführt worden war, hörte ich ein Hin und Her hinter dieser Tür.

 

Und dann begann das Geräusch von Schlägen, von Klatschen; und Schreie, erst laut, dann dumpf und erstickt von Knebeln. Das Klagen, das Stöhnen, wenn die Folterknechte ihre Opfer Atem holen ließen und das Klatschen der Schläge für einen Moment aufhörte. Dann setzten die Schläge wieder ein; "Halas, sidi; Halas, sidi!". "Genug, mein Herr, genug, mein Herr!". Und dann das Weinen.

 

Jetzt verstand ich den seltsamen Umstand, warum die Bediensteten in ihren Schlafräumen mit laut aufgedrehtem Radio schliefen. Aber eigentlich hatte ich es schon geahnt.

 

Anfangs achteten die sich ablösenden Bediensteten, die kamen und gingen, noch darauf, die Tür sorgfältig zu schließen. Später gaben sie auf meine Anwesenheit keine Acht mehr: Die Tür blieb mehrmals weit offen stehen. Ich konnte alles hören und sehen.

 

Der Horror in Reinform, unverschleiert, direkt, nackt, einfach. So wie es selbst das Kino mit all seinen Spezialeffekten nicht zu Stande bringt. Und es gelingt mir nicht, in dem Moment in dem ich es aufschreibe, diese Szenen in Worte zu fassen. Und ich bitte die um Verzeihung, die dort im Korridor lagen, in ihrem eigenen Blut, in ihrem Urin, ihrem Erbrochenen.

 

Ich war dort, ich habe alles gesehen, und ich habe nichts unternommen. Verängstigt und feige habe ich nichts gesagt während mich eine immense Verzweiflung überkam.

 

Ein Offizier kam unvermittelt in den Raum und fixierte mich. In der einen Hand hielt er ein Paar Handschellen, in der anderen ein zweiadriges Kabel mit Stecker und einem blanken Ende. Ich dachte, es sei für mich bestimmt.

 

Die Dinge waren klar in meinem Kopf: Ich erwartete nicht mehr, diesen Ort lebend zu verlassen. Wenn sie mich all dies sehen ließen, dann doch nur, weil die Entscheidung schon gefallen war, meinen Körper früher oder später weiter zu bearbeiten, noch stärker, um ein Maximum an Informationen aus mir zu pressen, und mich dann zu erschießen. Was sollte sie auch daran hindern? Sie würden es auf die Opposition, die FSA schieben.

 

Kurz vor meiner Gefangennahme, hatte ich noch zwei Interviews gegeben während ich am Kontrollpunkt von Tal-Kalakh wartete. Eines für Jacques Aristide, Voice of America, und eines für Laurent Caspari, vom Westschweizer Radio. Das Letztere praktisch wenige Sekunden vor meiner Verhaftung. Ich erklärte Laurent Caspari, dass ich gerade die Erlaubnis zur Einfahrt nach Tal-Kalakh bekommen hatte, einer teilweise von den Rebellen kontrollierten Stadt ...

 

Der Mann mit dem Elektrokabel verschwand wieder, es war nicht für mich bestimmt. Ein paar Minuten später, zitterte wieder einmal das elektrische Licht im Raum und Schreie, die all die anderen übertönten, zerrissen die Luft. Die Tür öffnete sich wieder, und ich sah die Verbrennungen von dem elektrischen Strom der tief ins Fleisch eingedrungen war und auf seinem Weg alles verkohlt hatte.

 

Der Morgen dämmerte und ein wenig Tageslicht drang durch ein kleines Fenster in den Raum. Nicht weit entfernt konnte ich Schüsse von Regierungspanzern hören, die vermutlich, dem Baba Amr Bezirk galten, in dem, wie ich gehört hatte, noch einige Widerständler aktiv waren.

 

Ich war überzeugt, dass ich nichts mehr zu hoffen hatte. Hier sollte alles für mich zu Ende gehen, sollte alles enden, langsam und in dem fürchterlichen Leiden, dessen ich während der ganzen letzten Nacht Zeuge gewesen war. An diesem schmutzigen und düsteren Ort.

 

Ich drehte mein Gesicht zur Wand gegenüber der Tür und ritzte mit meinem Daumennagel ein kleines Kreuz in den Putz; Katholik, der ich bin, beichtete zu Gott. Ich habe ihm versprochen, dass ich die Erlebnisse dieser Nacht überall Kund tun werde, sollte ich davonkommen. Und ich versprach es auch für diejenigen, die im Korridor lagen. Dann betete ich und wartete.

 

Die Schreie hörten auf und ich hörte durch die Tür nur noch etwas Stöhnen. Die Bediensteten waren einer nach dem anderen in den Ruheraum zurückgekehrt und hatten sich, bei ausgeschaltetem Radio, schlafen gelegt.

 

Gegen 09.00 Uhr (Ich habe die Uhrzeit im Bus gesehen), wurde ich abgeholt. Ein Bediensteter band mich los und gab mir zu verstehen, dass ich Schuhe und Hemd anziehen solle. Als er die Tür öffnete erbleichte ich beim Anblick der leblosen Körper, die gefesselt im Korridor lagen. Der Bedienstete sah mich an als ob er von meiner Reaktion überrascht sei und schob mich über die Treppe zum Ausgang in einen Polizeibus, der mich mit vier anderen Gefangenen nach Damaskus in ein anderes Zentrum des Nachrichtendienstes überführte. Während der gesamten Fahrt dröhnten patriotische Gesänge zum Ruhme des Präsidenten Baschar al-Assad aus den Lautsprechern.

 

Es war das Zentrum der Palestine Branch, auf das einige Tage zuvor ein Bombenattentat verübt worden war.

 

Nachdem ich mich bis auf die Haut ausgezogen und zwei gründliche Leibesvisitationen über mich hatte ergehen gelassen, wurde ich erneut verhört. Diesmal wurde ich nicht berührt, ich wurde lediglich indirekt eingeschüchtert indem ein Mann, während mir die Fragen gestellt wurden, rechts neben mir mit einer langen Holzlatte auf einen Stahlschrank schlug. Und mehrere Bedienstete quälten direkt neben mir einen alten Mann mit verbundenen Augen, den sie immer wieder zu Boden stießen, am Boden liegend schlugen, und dann wieder aufrichteten.

 

Dieses Mal gab es keine Liege mehr, dafür aber den kalten Fußboden.

 

Sobald die syrischen Behörden verstanden hatten, dass ich für sie keine Gefahr darstellte, wurde ich in einen Keller des zivilen Gefängnisses von Bab al-Musalla geworfen, um des Landes verwiesen zu werden.

 

Ich war mit in einem Kleinbus mit blinden Fenstern überführt worden. Ein Junge von vierzehn oder sechzehn Jahren saß mir gegenüber mit verbundenen Augen und Handschellen auf dem Rücken. Seine nackten Beine waren von elektrischen Stromstößen verbrannt, bedeckt mit schwarzen, hosenknopfgroßen Kratern.

 

Ich stieg vor ihm aus. Ich kenne weder seinen Namen, noch weiß ich, wo er hingeführt wurde oder was mit ihm geschah.

 

Ich wurde in eine Zelle mit politischen Gefangenen gesperrt, deren Solidarität außergewöhnlich war: Sie haben mich gepflegt, mir zu essen gegeben, mir geholfen, mich zu waschen, mir eine Liegematte und eine Decke geliehen.

 

Einige von ihnen befanden sich seit über zwei Jahren in diesem Keller, der nicht einmal einen Luftschacht hatte. Man konnte die Sonne nicht sehen, wusste nicht, ob es Tag oder Nacht war. Die meisten waren gefoltert worden bevor sie dort eingeliefert worden waren. Ahmed erzählte mir von seinen 28 Tagen in den Händen des Nachrichtendienstes; wie er mit Kabel und Peitsche mehrmals am Tag für fast einen Monat geschlagen worden, ein Martyrium ohne Ende...

 

Ich traf in diesem Gefängnis Häftlinge aller Nationalitäten: Algerier, Saudis, Iraker, Sudanesen, Somalier, Palästinenser, Syrer natürlich, von denen viele seit einer Ewigkeit Abschiebehäftlinge sind, die Ewigkeit der Gefangenschaft, auf einen Befehl oder eine Hilfe wartend, die sie aus diesem Rattenloch befreit. Die ergreifendste Geschichte ist die Muhammads, einem Kashmiri, der dort seit mehr als sechs Monaten gefangen ist: Die Indische Botschaft betrachtet ihn als Pakistani, die Pakistanische betrachtet ihn als Inder. Seine gesamte Familie ist tot, er ist allein auf der Welt. Mehrmals am Tag setzt er sich in eine Ecke und weint lautlos. Dann ist dort auch Ali, ein Kasache, der seinen Reisepass verloren hat und verhaftet wurde: Die Botschaft erzählte ihm, dass er nicht im Bevölkerungsregister stehe. Seit Monaten schmachtete er dort ohne Identität: Er existiert nicht mehr. Seinem Schicksal überlassen, so wie viele andere Flüchtlinge die doch immerhin einen UNO Reisepass haben: Die syrischen UNO Funktionäre, korrupt bis auf die Knochen, behandeln jedoch nur die Fälle derer, die ihnen Schmiergeld zahlen können.

 

Denn alles muss erkauft werden. Nach ihrer Ankunft, leeren die Häftling ihre Taschen und öffnen ihre Koffer, wenn überhaupt. Die Wachen werden fiebrig, und bekommen große Augen sobald sie Banknoten sehen. Sie beschlagnahmen, was immer sie wollen: Kleidung, Schuhe, Parfüm ... Sie teilen sich einen Teil des Geldes, manchmal alles. In meinem Fall, nahmen sie alles, was mir der Nachrichtendienst gelassen hatte. Wer draußen keine Familie hat, die zahlen kann, bekommt, wenn überhaupt, nicht mehr als eine Mahlzeit am Tag, immer das gleiche: Fladenbrot, Zwiebeln, eine Schüssel Reis, in die Mitte der Zelle gestellt, und auf die sich die Gefangenen stürzen.

 

Keine Seife. Keine Zahnbürste. Keine saubere Kleidung.

 

Ohne Geld und Telefon fand ich mich in dieser kafkaesken Situation: Um als Abschiebehäftling aus diesem Gefängnis zu gelangen, braucht man jemanden, der einem ein Flugticket auf seinen Namen besorgt um dann durch eine Brigade vom Gefängnis zum Flugplatz transportiert zu werden und auf das Flugzeug zu warten. Niemand wusste jedoch, dass ich in Bab al-Musalla war...

 

Mit der Hilfe meiner Zellengenossen und durch Bestechung eines Wärters konnte ich eine Nachricht nach draußen schicken. Das Belgische Außenministerium hat sofort alles für meine Ausreise aus Syrien unternommen. Ich wurde am 23. Mai freigelassen.

 

Am Tag vor meiner Entlassung wurde ein junger Syrer in Bab al-Musalla eingeliefert. Er wurde von der Polizei verhaftet, weil er sich einen falschen Pass hergestellt hatte und sich versteckt hatte, um dem Wehrdienst zu entgehen. "Sie werden mich zwingen, unschuldige Menschen zu töten", sagte er mir. "Aber ich will mich lieber selbst umbringen." Während man mich aus dem Gefängnis in die Freiheit entließ, wurde er zum Nachrichtendienst überführt. Er gab mir noch seinen Namen, und über seine Facebook-Konto versuche ich seitdem ihn zu erreichen. Vergeblich.

 

Die sechs Tage der Hölle, die ich durchlebt habe, die Nacht in der ich in Homs gefoltert wurde und in der ich vor allem sah, wie meine Mitgefangenen ungleich brutaler gefoltert wurden, waren für mich Momente intensiven physischen und psychischen Leidens. Allerdings bereue ich nicht, Zeuge von all dem gewesen zu sein: Im Namen aller, die ich zurückgelassen habe, muss ich jetzt Zeugnis ablegen.

 

Bisher habe ich, was Syrien angeht, immer die Prinzipien des Westfälischen Rechts und des Rechts der nationalen Souveränität und der Nichteinmischung verteidigt. Ich habe die neo-kolonialen Kriege in Afghanistan, Irak oder Libyen verurteilt, die durch wirtschaftliche und geostrategische Überlegungen motiviert waren, und deren "humanitäre" Ziele nur fadenscheinige Vorwände waren.

 

Aber angesichts der Schrecken derer ich Zeuge wurde, und für jeden einzelnen dieser Männer, die vor meinen Augen verstümmelt wurden von Barbaren im Dienst einer Diktatur, deren Unverschämtheit und Erbarmungslosigkeit mir unvorstellbar waren, schließe ich mich denen an, die ein militärisches Eingreifen fordern, um den Gräueltaten des Baath Regimes ein Ende zu setzen, selbst wenn das Land in einem Bürgerkrieg zu versinken droht. Sollte diese schwierige Passage notwendig sein, so muss sie trotzdem durchstanden werden, um 42 Jahre des organisierten Terrors zu beenden, von dessen Ausmaßen ich mir keine Vorstellung gemacht habe.

 

Ich würde niemals im Namen der Syrer sprechen. Ich gebe einfach die einhellige Botschaft weiter, die mir die Kämpfer der FSA, die zu Tode gefolterten Zellengenossen und die Freunde aus Bab al-Musalla anvertraut haben: Baschar al-Assad hat seine Anhänger unter den Alewiten, den Christen und anderen Minderheiten, und auch bei Sunniten, die den radikalen Islam fürchten. Jedoch, "die Mehrheit der Bevölkerung will nicht mehr in diesem Land leben, das kein Land, sondern ein Regime ist. Die FSA ist bereit. Sie hält bereits mehrere Bastionen und ist auch in den großen Städten präsent, in Damaskus und Aleppo, zwar verdeckt, aber den Moment eines allgemeinen Volksaufstands abwartend. Aber dieser Moment kann nur kommen, wenn die westlichen Demokratien konkrete militärische Unterstützung bieten. Die FSA verfügt nicht über die militärischen Mittel um sich der Regierungsarmee entgegenzustellen, die eine gut ausgerüstete Armee ist, und die sich seit über einem Jahr durchsetzt ohne auch nur auf ihre Spezialeinheiten mit Panzern oder ihre Flugzeuge und Hubschrauber zurückzugreifen. Es ist eine Armee, die durch das Militärregime so geformt wurde, dass sie ihm treu bleibt. Die FSA kann das Regime nur besiegen, wenn der Westen die schwere Ausrüstung, Panzer und Flugzeuge zerstört. Und wenn der Westen diese Unterstützung gewährt, werden die Menschen in Massen durch die Straßen ziehen, und viele von den Soldaten werden selbst zu Anhängern der Revolution werden. Aber im Moment wissen sie, dass das Regime stark ist und ist und dabei ist, zu siegen, und sie haben Angst. Ach, niemand will uns helfen. Die Westlichen Länder reden viel, sie sehen zu, aber sie tun nichts, denn hier gibt es nichts, was man mit nach Hause nehmen kann. Das Regime weiß es. Deshalb zögert es nicht, zu foltern, zu töten und zu bombardieren. Es weiß, dass niemand etwas unternehmen wird. Es hat nichts zu befürchten. Wir sind allein."(J., in Bab al-Musalla).

 

Syrien hat nichts, das die wirtschaftlichen Interessen des Westens wecken könnte und ihn dazu bringen könnte, zu intervenieren. Ganz im Gegenteil: In geostrategischer Hinsicht genießt die Regierung von Baschar al-Assad objektiv die Unterstützung von Seiten der Vereinigten Staaten, die seit 2001 eine Politik der Annäherung betreiben, von Seiten Israels, das sich über diesen großmäuligen Nachbar freut, der perfekt für die Sicherheit an der Grenze zum Golan sorgt, auch von Seiten der Europäischen Union, die 98% des syrischen Öls gekauft hat und mit Sorgen die Destabilisierung dieses zentralen Landes im Nahen Osten betrachtet, und schließlich auch von Seiten Chinas und Russlands, für die Syrien der letzte arabische Verbündete mit einer Küste am Mittelmeer ist.

 

Eine militärische Intervention des Westens entgegen der russischen Position, wäre sicherlich ein einzigartiges Engagement der westlichen Mächte für eine Unternehmung, aus der sie keinen Profit ziehen können.

 

Incha’Allah.

 

Pierre PICCININ (Politologe – Historiker – Brüssel)

Im Libanon und in Syrien (vom 12. bis 23. Mai 2012)

 

Übersetzung : R.M.

 

 

 

 

Le Monde.fr - L'Espresso - Le Soir.be - Neue Luzerner Zeitung

 

 

 

 

carte syrie

 

 

© This article may be freely published under condition of mentioning the source (www.pierrepiccinin.eu)

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